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Terror und Horror

Hinrichtung Ludwigs des XVI. – Kupferstich aus dem Jahr 1793

Hinrichtung Ludwigs des XVI. – Kupferstich aus dem Jahr 1793 – Lizenz: gemeinfrei

Eine berühmte Wendung Ciceros lautet horribile dictu [1], schrecklich zu sagen, nur mit Schauder zu benennen. Sie gibt einen Hinweis auf den Bedeutungsunterschied zwischen Terror und Horror. Beide Begriffe, Terror und Horror, bedeuten zunächst Schrecken. Terror von lateinisch terror, Schrecken, Angst und Schrecken bereitendes GeschehenHorror von lateinisch horror , Starren, Erschauern, Schrecken, Grausen, Grauen.

Terror bedeutet die Verbreitung von Schrecken und Entsetzen. Horror bedeutet das Empfinden von Schrecken und Entsetzen. Ersteres wird ausgeübt durch existenzielle Bedrohung und Androhung von Unheil, letzteres wird ausgelöst, entsteht aus der eigenen inneren Empfindung.

Nicht immer war Terror nur negativ besetzt. Terror hatte früher auch die Konnotation von Abschreckung, also hatte Terror die Funktion eines staatlichen Instruments zur Verbrechensverhinderung. Noch drastischer trat dies durch die drakonischen Strafen und Foltermethoden im Mittelalter zutage. Es wurden Urteile exekutiert, die nicht wie heute unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollstreckt wurden, sondern sogar noch die Französische Revolution, die Terrorherrschaft der Jakobiner, kennzeichneten. Sie wurden zu einer öffentlichen, blutrünstigen Darbietung, die eine Schaulust an Schauder und Entsetzen befriedigten, ein Merkmal des menschlichen Gemüts, dem noch immer heutige Horrorfilme nachkommen.

Terror soll also Horror hervorrufen. Indem er und in Angst und Schrecken versetzt, führt er zum Empfinden von Schrecken.

Dies ein ist klassisches Beispiel, um Kausativverben, Veranlassungsverben, zu erfassen.

Das regelmäßig gebeugte, transitive Verb jemanden erschrecken, Terror verbreiten, führt zum Erschrecken. So wird erschrecken zum intransitiven, also objektlosen, absoluten Verb, das  Empfinden von Horror ausdrückt. Man erschrickt, weil man erschreckt worden ist.

Wie im Verb erschrecken drücken sich darin unterschiedliche Vorgänge aus.

Dem Verb jemanden erschrecken, erschreckte, erschreckt entspricht Terror. Dem Verb erschrecken, erschrak, erschrocken entspricht Horror.

Terror bezieht sich auf ein objektives Tun, das Angst und Schrecken verbreitet. Der subjektive Horror ist der erlebte Zustand, der durch den Terror ausgelöst worden ist.

[1] horrible dictu ist eine erstarrte rhetorische Phrase, die grammatikalisch ein Supinum ll ist. Das Supinum ist ein der deutschen Grammatik fremdes Partizip des Futur. Beim Übersetzen behilft man sich deshalb mit einer Nebensatz- oder Infinitiv-Konstruktion: Es ist furchtbar, dies sagen zu müssen.

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Seminar für Griechische und Lateinische Philologie – Das lateinische Supinum (pdf)

Entschluss und Entscheidung

Die schwere Entscheidung (Junger Mann zwischen klösterlichen und weltlichem Leben)

Die schwere Entscheidung (Junger Mann zwischen klösterlichem und weltlichem Leben) – Lizenz: gemeinfrei

Im Lateinischen gibt es zwei unterschiedliche Ableitungen von decidere. Die eine geht auf fallen, cadere, zurück. Bei dieser fehlt naturgemäß das Partizip II, denn es ist intransitiv, also objektlos, das heißt nicht ins Passiv zu übertragen. Die andere Ableitung ist auf fällen, caedere, zurückzuführen.

Man kann beide Verben als Idealtypus eines Kausativs ansehen. Dann ist das Verb fällen kausativ, die Causa, der Grund, der Auslöser von fallen. Aus der Einsicht zweier unterschiedlicher zugrunde liegender Verben erschließt sich die Bedeutungsvielfalt von decidere.

In intransitiver Form hat das Verb eine Bedeutungsbreite zwischen figürlichem herabfallen und übertragenem hineingeraten, schwinden und sterben. In transitiver Bedeutung umfasst es ebenso Vielfältiges: von figürlich abschneiden, abhauen bis zu übertragen entscheiden, vereinbaren, abschließen (eines Vertrages).

Im sprachlichen Erbe finden sich etwa italienisch decidere, französisch décider, englisch to decide. Sie alle bezeichnen entscheiden, entschließen. Auch Ableitungen wie décision, decision, décidé, decided, dezidiert haben etwas mit Entschiedenheit oder Entschlossenheit zu tun.

Im Deutschen unterscheiden wir dazu zwei Verben, die auf den ersten Blick bedeutungsgleich erscheinen. Bei genauerer Betrachtung aber erkennt man ihre Verschiedenheit: Dem Verb entscheiden liegt scheiden zugrunde. Man scheidet, unterscheidet auch, in einem Entscheidungsprozess unterschiedlichen Aspekte, Fakten, Merkmale mehrerer, ja, eher zweier, Dinge. Ist dies geschehen, fällt man seine Entscheidung. Das ist dann eine Entscheidung zwischen Alternativen, die per definitionem zwei unterschiedliche Ausgänge bezeichnen.

Das Verb sich entschließen enthält neben dem Grundverb schließen das fast gleichbedeutende beschließen. Das Präfix ent- macht daraus etwas Endgültiges. Der Entschluss signalisiert, dass eine Klärung stattgefunden hat, deren Ergebnis nun entschlossen ausgeführt wird.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: sich entscheiden bezeichnet die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, deren einer man beitritt. Die Entscheidung eines Gerichts bezieht sich demnach zunächst auf Alternativen – z. B.  Schuld oder Unschuld. Sie ist im genaueren Sinne der Beschluss einer höheren Instanz. Von beschließen ist der Weg nahe zu sich zu etwas entschließen. Es bedeutet umzusetzen, was aus einer Überlegung hervorgegangen ist. Daraus ergibt sich der Entschluss.

Steintauben und taubes Gestein – ist die Taube doof?

Panorama-Blick über den Fluss Dove Elbe bei Hamburg-Allermöhe

Panorama-Blick über den Fluss Dove Elbe bei Hamburg-Allermöhe – Foto: kaʁstn Disk/Cat / Lizenz: gemeinfrei

Ein Naturschutzgebiet im Süden Hamburgs, ein naturwüchsiger Auwald in den Elbniederungen, liegt an der Dove Elbe. Die Dove Elbe ist ein seit langer Zeit vom Hauptflusslauf abgetrennter, funktionsloser Seitenarm, dessen Stilllegung die Strömungsgeschwindigkeit des Hauptlaufs für die Schifffahrt und den Hamburger Hafen verbessern sollte. [1]

Das niederdeutsche Adjektiv dov bedeutet taub, leer. Wer taub ist, hat nur geringe Chancen, Informationen aufzunehmen und umzusetzen. Daraus ergibt sich die Bedeutung des umgangssprachlichen Adjektivs doof: betäubt, empfindungslos, begriffsstutzig, verwirrt. Damit hängt auch toben, im Schweizerischen gar tauben, also im ursprünglichen Wortsinne besinnungslos wüten, rasen, zusammen.

Die Figur der Taube, des „Täubleins“, der „Friedenstaube“, ist im Märchen und im Volksglauben das Symbol für Friedfertigkeit, Emsigkeit und und Selbstlosigkeit.

Betrachtet man das deutsche Wort für den Vogel Taube zunächst unter dem formalen Gesichtspunkt, ist eine Übereinstimmung mit taub kaum von der Hand zu weisen. Das niederdeutsche dov hat im Englischen das Pendant deaf, taub, und die englische Bezeichnung für Taube lautet dove.

Daraus könnte man einen Zusammenhang zwischen der Bezeichnung Taube und dem Adjektiv taub ableiten. „taub“ bedeutet im figürlichen Sinne gehörlos, verstockt, übertragen zunächst doof, also dumm, letztlich: interaktions- und kommuniktionsunfähig. Denn Taubheit, Gehörlosigkeit, impliziert Stummheit, Artikulationsschwäche. Damit unterstellte man der Taube diese Eigenschaften. Dabei sind Tauben – Felsen- oder Steintauben – eigentlich domestifizierte Haustauben, zu Straßentauben verwildert. Sie sind sozial organisierte Vögel, die in einer Kolonie vergesellschaftet leben. Sie sind ausgesprochen reaktionsschnell – zu beobachten, wenn sie in perfekter Formation fliegen[2]  , landen und wenden oder wenn sie sich auf befahrenen Straßen auf Futtersuche machen.

Orientierungs- und Heimfindevermögen, was gerade Brieftauben, die eigentlich zahme und abgerichtete Haustauben sind, auszeichnet, ist eine erstaunliche taubenspezifische Fähigkeit. Zu einem weit entfernten Ort gebracht, finden sie von sich aus den Weg zurück in den heimischen Schlag – „im Gepäck“, also am Bein oder Rücken befestigt, die von weither mitgebrachte Nachricht. Ihre Fähigkeiten sind ähnlich denen von Zugvögeln, deren Flugrouten sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren scheinen. Doch ist das Geheimnis des Vogelzugs noch nicht vollkommen entschlüsselt.

Die Wortherkunft von Taube und taub zeigt also nur eine zufällige lautliche Übereinstimmung. Die Taube ist in vielen indogermanischen Sprachen nämlich nach ihrer dunklen Farbe benannt: „die Schwarzblaue“. Daraus könnte sich auch das alt-irische dub, schwarz, erklären. [3]

Das englische dove führt also auf eine falsche Fährte.

Der abgetrennte, ins Leere führende Flusslauf, die unnütze, leere – taube – Nuss, das nicht erzhaltige, leere – taube – Gestein, auch der nicht mehr reagierende, betäubte, entleerte Sinn, der verwirrte, als leer empfundene – doofe – Kopf – all das ist taub.

Das Substantiv Taube aber hat keine gemeinsame Sprachwurzel mit dem Adjektiv taub. Ihre scheinbare Übereinstimmung in beiden Begriffe speist sich aus unterschiedlichen sprachgeschichtlichen Quellen, dem niederdeutschen dov für taub, leer und dem indogermanischen Gemeinbegriff für die Taube, charakterisiert durch ihr blauschwarzes Federkleid.

[1] Wikipedia – Dove Elbe

[2] Spektrum.de – Navigationstalent macht noch keinen Schwarmführer

[3] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm – TAUBE

Sesam öffne dich – Schätze, verborgen in der Tiefe des Berges

Aiguilles Dorées

Aiguilles Dorées – Foto: Poschi / Lizenz: Creative Commons Attribution Share Alike 3.0 Unported

Bei seinem geizigen, unbarmherzigen Bruder ist Ali Baba, der rechtschaffene Part eines Geschwisterpaares, hoch verschuldet.

Starr vor Schreck im Astwerk eines Baumes verborgen, verfolgt er eines Tages, wie eine Räuberbande ihre Beute birgt: Auf eine Zauberformel hin öffnet sich der Berg Sesam, um die ruchlose Schar einzulassen. Als der Spuk vorbei ist, tut Ali Baba es ihr nach und steht plötzlich im gleißenden Widerschein eines atemberaubenden Schatzes, den die Kammern der Höhle bergen. Ali Baba widersteht der Versuchung, sich die Taschen mir Gold zu füllen und nimmt nur was er braucht, um sein ärmliches Leben zu lindern und seine Schulden zu tilgen.

Das Märchen geht weiter. Die moralische Botschaft ist: Dem Gierigen wird seine Raffsucht zum Verhängnis. Bescheidenheit siegt.

Doch auch eine etymologische Botschaft können wir dem Märchen entnehmen:

Der Berg, ahd. perac, mhd. berc, birgt und verbirgt. Er ist Inbegriff von Bergung und Hilfe. Die Verben bergen und verbergen bedeuten hüten und (sich) schützen, behütet sein, in guter Hut sein. Damit im Zusammenhang steht auch Burg, noch deutlicher als Berg, als Zufluchtsstätte zu verstehen. Im Lateinischen ist arx, Burg, urverwandt mit dem gotischen alhs, und dem althochdeutschen alah. Hier schließt sich der sprachgeschichtliche Kreis. Die Burg war der Zufluchtsort der Dorfgemeinschaft, wenn Feinde nahten. Grundidee beider, Berg und Burg, ist der figürliche Hintergrund von „in Sicherheit sein, in Sicherheit bringen“. Burg, Berg und Gebirge sind so verstanden Feste und Festung, sie gewährten Schutz vor Angriffen und Begehrlichkeiten. Wie eine Burg bot ein unzugänglicher Berg mit geheimen Höhlen und Gängen Schutzraum für Gemeinschaft, Familie, Hab und Gut.

Wenn man das orientalische Märchen „Ali Baba und die vierzig Räuber“ [1], aber auch die Grimm’schen Märchen vom „Simeliberg“ [2], von „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ bei der Untersuchung des Begriffes Berg betrachtet, so erweist er sich als Ort, der Schätze oder Bodenschätze birgt, hütet, verbirgt.

Der Ursprungsbegriff ist das Verb bergen in seiner Konnotation von hüten und schützen. Es bedeutet, aus etymologischem Verständnis, hochziehen. Im Russischen etwa ist bereg, althochdeutsch pereg, Strand, Höhergelegenes als Wasser. Ans Ufer ziehen – also vom Wasser aus betrachtet, nach oben –  ist gleichbedeutend mit in Sicherheit bringen, bergen, schließlich hüten.

Im Französischen bedeutet berger Hüter, der sich auch auf die Hütehunde des Hirten oder Schäfers übertragen hat. Daher rührt die Rassebezeichnung berger allemand für Deutscher Schäferhund. Und auch der Familienname Berger geht weniger auf Berg zurück, denn auf bergen, hüten, aufpassen, mieten.

Das Verb bergen ist unregelmäßig gebeugt, ein Hinweis auf eine lange und lebendige Geschichte. Es hat, wie viele andere, die Ablautreihe e, i, a, o: bergen, birg!, du birgst, er birgt, barg, geborgen. Daraus erklären sich auch die Lautverschiebungen in Gebirge und dem Partizip II und Adjektiv verborgen. Selbst das Verb borgen, ausleihen, zeigt einen inhaltlichen Bezug zu bergen: Man borgt und verborgt etwas mit der Gewissheit, es in guter Hut zu wissen und auf seine Rückgabe vertrauen zu können.

[1] http://gutenberg.spiegel.de/buch/tausend-und-eine-nacht-dritter-band-3446/10
[2] SAGEN.at – SIMELIBERG

Etwas Besseres als den Tod findest du überall

Illustration zum Märchen: Die Bremer Stadtmusikanten

Illustration zum Märchen: Die Bremer Stadtmusikanten
Lizenz: gemeinfrei

So sprechen die ihrerseits dem Tode entronnenen Haustiere zum Hahn, der sein letztes Stündlein vor dem Ende im Suppentopf aus vollem Halse krähend begeht.

Der Satz ist die Quintessenz des Volksmärchens „Die Bremer Stadtmusikanten“[1], eine Parabel, die von der Furcht der Menschen vor dem Alter erzählt. Doch nur die Menschen treibt diese Furcht um. Tiere haben kein Geschichtsbewusstsein, keine Vorstellung vom Gestern und Morgen. Deshalb haben sie keine Angst vor dem Tod. Nur dem Sterben steht ihr angeborener Überlebensinstinkt, ihr Selbsterhaltungstrieb entgegen.

Stellvertretend für gebrechlich gewordene Menschen sind hier ausgemusterte Haustiere am Werk, auf die, nach treuen Diensten unnütz geworden, der Tod von der Hand ihres Herrn wartet.

Welch tragischer Ausblick !

Schicksalsergeben lassen sie den Kopf hängen, bis sie sich zusammentun und gemeinsam einer neuen Lebensperspektive begegnen.

Gegen das Altwerden ist kein Kraut gewachsen, noch je ein Jungbrunnen entdeckt worden. Es hilft nur der frühe Tod. Darauf nimmt das Sprichwort – entstanden aus Altersweisheit – Bezug: Wen die Götter lieben, den nehmen sie jung zu sich.

Ein bitterer Trost!

Wer nicht früh stirbt, muss sich mit den Schrecken des Alters auseinandersetzen: die Kräfte schwinden zu sehen, seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen zu können, auf Hilfe, Gnade und Mitgefühl angewiesen zu sein. Notgedrungen muss er eine neue Rolle in der Gesellschaft finden.

Den Bremer Stadtmusikanten gelingt sogar Selbstbestimmtheit. Sie gründen ein wehrhaftes Altenheim, eine Alten-Wohngemeinschaft, in der jeder seinen Platz und seinen Unterhalt findet, wo sich die verbliebenen Fähigkeiten ergänzen.

Man muss nicht weitblickend sein, um zu erkennen, dass dieser Ausblick naturgemäß kurzlebig ist: Ein üppig ausgestattetes Räuberhaus, fernab im schützenden Wald. Dass die Vorräte endlich sind, ist Teil des Entwurfs dieses letzten Lebensabschnitts. Er verweist auf die Begrenztheit der vom Glück begünstigten Notgemeinschaft.

[1] Brüder Grimm: Die Bremer Stadtmusikanten