Tägliche Archive: 20. Juli 2015

Sesam öffne dich – Schätze, verborgen in der Tiefe des Berges

Aiguilles Dorées

Aiguilles Dorées – Foto: Poschi / Lizenz: Creative Commons Attribution Share Alike 3.0 Unported

Bei seinem geizigen, unbarmherzigen Bruder ist Ali Baba, der rechtschaffene Part eines Geschwisterpaares, hoch verschuldet.

Starr vor Schreck im Astwerk eines Baumes verborgen, verfolgt er eines Tages, wie eine Räuberbande ihre Beute birgt: Auf eine Zauberformel hin öffnet sich der Berg Sesam, um die ruchlose Schar einzulassen. Als der Spuk vorbei ist, tut Ali Baba es ihr nach und steht plötzlich im gleißenden Widerschein eines atemberaubenden Schatzes, den die Kammern der Höhle bergen. Ali Baba widersteht der Versuchung, sich die Taschen mir Gold zu füllen und nimmt nur was er braucht, um sein ärmliches Leben zu lindern und seine Schulden zu tilgen.

Das Märchen geht weiter. Die moralische Botschaft ist: Dem Gierigen wird seine Raffsucht zum Verhängnis. Bescheidenheit siegt.

Doch auch eine etymologische Botschaft können wir dem Märchen entnehmen:

Der Berg, ahd. perac, mhd. berc, birgt und verbirgt. Er ist Inbegriff von Bergung und Hilfe. Die Verben bergen und verbergen bedeuten hüten und (sich) schützen, behütet sein, in guter Hut sein. Damit im Zusammenhang steht auch Burg, noch deutlicher als Berg, als Zufluchtsstätte zu verstehen. Im Lateinischen ist arx, Burg, urverwandt mit dem gotischen alhs, und dem althochdeutschen alah. Hier schließt sich der sprachgeschichtliche Kreis. Die Burg war der Zufluchtsort der Dorfgemeinschaft, wenn Feinde nahten. Grundidee beider, Berg und Burg, ist der figürliche Hintergrund von „in Sicherheit sein, in Sicherheit bringen“. Burg, Berg und Gebirge sind so verstanden Feste und Festung, sie gewährten Schutz vor Angriffen und Begehrlichkeiten. Wie eine Burg bot ein unzugänglicher Berg mit geheimen Höhlen und Gängen Schutzraum für Gemeinschaft, Familie, Hab und Gut.

Wenn man das orientalische Märchen „Ali Baba und die vierzig Räuber“ [1], aber auch die Grimm’schen Märchen vom „Simeliberg“ [2], von „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ bei der Untersuchung des Begriffes Berg betrachtet, so erweist er sich als Ort, der Schätze oder Bodenschätze birgt, hütet, verbirgt.

Der Ursprungsbegriff ist das Verb bergen in seiner Konnotation von hüten und schützen. Es bedeutet, aus etymologischem Verständnis, hochziehen. Im Russischen etwa ist bereg, althochdeutsch pereg, Strand, Höhergelegenes als Wasser. Ans Ufer ziehen – also vom Wasser aus betrachtet, nach oben –  ist gleichbedeutend mit in Sicherheit bringen, bergen, schließlich hüten.

Im Französischen bedeutet berger Hüter, der sich auch auf die Hütehunde des Hirten oder Schäfers übertragen hat. Daher rührt die Rassebezeichnung berger allemand für Deutscher Schäferhund. Und auch der Familienname Berger geht weniger auf Berg zurück, denn auf bergen, hüten, aufpassen, mieten.

Das Verb bergen ist unregelmäßig gebeugt, ein Hinweis auf eine lange und lebendige Geschichte. Es hat, wie viele andere, die Ablautreihe e, i, a, o: bergen, birg!, du birgst, er birgt, barg, geborgen. Daraus erklären sich auch die Lautverschiebungen in Gebirge und dem Partizip II und Adjektiv verborgen. Selbst das Verb borgen, ausleihen, zeigt einen inhaltlichen Bezug zu bergen: Man borgt und verborgt etwas mit der Gewissheit, es in guter Hut zu wissen und auf seine Rückgabe vertrauen zu können.

[1] http://gutenberg.spiegel.de/buch/tausend-und-eine-nacht-dritter-band-3446/10
[2] SAGEN.at – SIMELIBERG