Tägliche Archive: 31. März 2016

Pastor und Propst

Kuckuck und Rotkehlchen

Martin Luther
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Latein war noch zur Zeit Luthers die Sprache der Kirche. Eine Sprache, die nur hochgebildeten Schichten wie dem Klerus und dem Adel zugänglich war. Es war der Anknüpfungspunkt des Reformators, dem einfachen Volk, den ungebildeten Gläubigen, ihre Glaubenssache, die Bibel, die Liturgie, die Choräle in ihrer eigenen Sprache nahe zu bringen. Es war der Antrieb für seine Bibelübersetzung, für die Luther einen Stab von Gelehrten und Spezialisten für die alten Sprachen um sich versammelt hatte.

Im Zusammenhang damit galt es, die Prachtentfaltung der Kirche, die auf Kosten der einfachen Menschen ging, zu reduzieren, sich für die Reinigung der Gotteshäuser von Pomp und Zierrat zugunsten schlichter Kontemplation einzusetzen. Das ist in knappen Zügen die Geschichte der Einfachheit der protestantischen Kirche, also der Christen, die sich einst gegen die Verschwendungssucht der Kirche einsetzten.

In Hamburg heißt der Vorgesetzte der Pastoren eines Kirchenkreises Propst. Das ist der Titel für einen höheren kirchlichen Amtsträger – Superintendent ist andernorts der geläufigere Amtstitel. Er ist etwas ähnliches wie ein Oberschulrat auf der Verwaltungsebene von Schulen.

Das zunächst ganz heimisch klingende Wort Propst hat lateinische Wurzeln, die zweifellos im Kirchenlatein zu suchen sind. Die lauten zunächst lateinisch praepositus, Vorsteher, Aufseher, also Vorgesetzter, schließlich spätlateinisch propos(i)tus. Daraus ist mittelhochdeutsch brobest, althochdeutsch prōbōst entstanden. Man erkennt darin ein substantiviertes 2. Partizip von praeponere, einem Begriff, der in der Grammatik für die Wortart Präposition, „Voranstellung“, Verhältniswort, erhalten ist.

In Hamburg wird zum Erstaunen Vieler das Substantiv Propst auf zweierlei Arten gebeugt.

Die eigentliche, dudenkonforme Beugung ist stark, also

der Propst, des Propstes, dem Propst, den Propst (Singular)

die Pröpste, der Pröpste, den Pröpsten, die Pröpste.

Daneben gibt es eine, wie mir scheint, kircheninterne, schwache. Sie lautet:

der Propst, des Propsten, dem Propsten, den Propsten (Singular)

Die letztgenannte schwache Beugung scheint aus dem lateinischen Ursprung als einem substantivierten 2. Partizip zu resultieren. Partizipien werden als Substantive wie Adjektive, denen sie in ihrer Gestalt und Funktion ähnlich sind, schwach gebeugt. Das erkennt man etwa an dem Begriff der Vorgesetzte, ein Vorgesetzter, welches in Wirklichkeit ebenso ein substantiviertes Partizip ist, und deshalb also schwach flektiert wird. Dabei findet der schwache Plural, „die Propsten“ keine Verwendung. Das mag damit zusammenhängen, dass in Hamburg das weibliche Pendant Pröpstin geläufig ist, so dass die Pröpste  so vertraut wie die Pröpstinnen klingen.

Der übliche Name für den evangelischen Pfarrer und Seelsorger lautet Pastor. Das ist unverfälschtes Latein: der Hirte. Gedacht ist Seelen-Hirte. Das Bild des guten Hirten, der sich auch um sein letztes verlorenes Schäflein kümmert, steht dafür Pate.

Pastor ist ein Substantiv mit maskulinem Genus, das zeigt das Suffix -or an. Es gibt im Deutschen viele derartige Substantive: Doktor, Rektor, Autor, Kurator. Sie alle sind von einem lateinischen Pendant abgeleitet: pastor, doctor, rector, auctor, curator.

Aus der substantivischen Herkunft resultiert auch eine Wahrnehmung und folglich eine grammatische Vorstellung als Maskulinum, die sich in der Beugung manifestiert. Aus diesem Grund werden diese Fremdwörter, anders als die aus Adjektiven, Partizipien oder Gerundiven abgeleiteten, die in ihrem grammatischen Charakter adjektivischer Natur sind, stark gebeugt:

der Pastor, des Pastors, dem Pastor, den Pastor (Singular)

die Pastoren, der Pastoren, den Pastoren, die Pastoren (Plural)

Diese genuin maskulinen Fremdwörter schwach zu beugen, also *des/dem/den Pastoren/Autoren, ist also ein grammatischer Fehler, entstanden aus dem Missverständnis, alle maskulinen Fremdwörter würden schwach gebeugt.