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Salz der Erde, Licht der Welt – Martin Vetter zu Kirche und Öffentlichkeit

Neue Nikolaikirche Harvestehude, Großes Fenster

Neue Nikolaikirche Harvestehude, Großes Fenster
Urheber Dirtsc – Lizenz: Creative-Commons

„Salz der Erde, Licht der Welt – aktuelle Herausforderungen einer öffentlichen Kirche“ hat Pastor Dr. Martin Vetter seinen Vortrag genannt, den er am 6. April 2016 im Gemeindesaal von St. Nikolai gehalten hat. [1] Dieser Vortrag war Teil seiner Vorstellung für das Amt des Hauptpastors an St. Nikolai und Propstes der Propstei Alster-West. Die Synode des Kirchenkreises Hamburg-Ost wird nun am 13. April 2016 ab 17:00 Uhr in der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern tagen und ihre Wahl treffen.

Den hamburgischen Hauptkirchen kommt beträchtliche Bedeutung im kirchlichen Leben zu. „St. Petri, St. Katharinen und St. Jacobi gehören zu den ältesten Zeugnissen Hamburger Kirchengeschichte; St. Michaelis ist das Wahrzeichen Hamburgs; St. Nikolai ist sichtbare Mahnung an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und mit der neuen Hauptkirche am Klosterstern Zeichen des Wiederaufbaus“, heißt es in der Hauptkirchensatzung. [2] Den Hauptkirchen falle die Aufgabe zu, die Stimme des Glaubens in besonderer Weise zu Gehör zu bringen und Wege zu suchen, die zu Gott und den Menschen führen.

Das Hauptpastorenamt setzt also besondere theologische Kompetenz und berufliche Erfahrung voraus. Auch wissenschaftlich-theologische Arbeit gehört dazu. Es gilt, über die Arbeit in der Gemeinde und deren Grenzen hinaus, wissenschaftliche, kulturelle und gesellschaftspolitische Akzente in der Öffentlichkeit zu setzen und zu vertreten.

Dr. Martin Vetter hat in seinem Vortrag den Gedanken diskutiert, dass kirchliches Handeln grundsätzlich in der Öffentlichkeit geschehe. Er sei überzeugt, dass die Kirche in die Öffentlichkeit gehöre und wenn sie über ihre eigenen Grenzen hinaus spreche und handele, dann habe sie davon selbst Gewinn.

In sieben Thesen entfaltete und unterlegte er seine Kernaussage:

  • Die Kirche muss ihrem Selbstverständnis nach in der Öffentlichkeit wirken.
  • „Öffentlichkeit“ gibt es nur im Plural, d.h. als „Öffentlichkeiten“ – und die Kirche ist Teil dieser.
  • Der Öffentlichkeitsaufrag der Kirche wird heute in Frage gestellt.
  • Die Kirchen haben für die moderne Gesellschaft einen besonderen Stellenwert, weil sie ethische Traditionen nachhaltig pflegen.
  • Kirchliche Beiträge zur politischen Diskussion müssen „übersetzt“ werden.
  • „Öffentliche Kirche“ realisiert sich auch in spirituellen und kulturtheologischen Formen kirchlichen Handelns.
  • Eine Kirche, die sich als „öffentliche Kirche“ begreift, gewinnt selber.

Die öffentliche Kirche fördere im Dialog die Pluralismusfähigkeit der Akteure. Martin Vetter: „Christinnen und Christen setzen als öffentliche Kirche ihre jeweiligen religiösen Überzeugungen und theologischen Ansätze der Kritik aus. Im Unterschied zu religiös fundamentalistischen Argumentationsmustern, die sich gegen kritische Einwürfe immunisieren, ermöglicht die öffentliche Kirche religiöse Ideologiekritik. Diese Kritik trägt zur religiösen Wahrheitssuche bei. Die Zivilgesellschaft würde verarmen und die Zukunft des Sozialen gefährden, wollte man diese Kritik aus dem öffentlichen in das private Leben verbannen.“

Nach seinem überzeugenden Vorstellungsgottesdienst hat Martin Vetter nun auch mit seinem Vortrag gezeigt: Er hat das Format für das Amt des Hauptpastors an St. Nikolai und Propstes der Propstei Alster-West. Er wird als Hauptpastor Akzente setzen. Der Propstei Alster-West wird seine Erfahrung in der Pastorenfortbildung zugute kommen. Ich hoffe deshalb, dass die Synode in kluger Entscheidung Martin Vetter ins Amt wählen wird.

[1] Salz der Erde, Licht der Welt – Aktuelle Herausforderungen einer öffentlichen Kirche (pdf)

[2] Hauptkirchensatzung des Kirchenkreises Alt-Hamburg

Die Penne – Schule der Langeweile oder altehrwürdiges Gymnasium?

Gymnasium Arnoldinum (Burgsteinfurt)

Gymnasium Arnoldinum (Burgsteinfurt)
Fotograf: Thomas Max Müller / pixelio.de

Penne ist ein umgangssprachliches Wort für Schule. Im Sprachgebrauch gehört es zu dem Typ Gymnasium, der früher dem Nachwuchs der gebildeten Schicht zugänglich war. Es hat eine Konnotation von liebevoller Respektlosigkeit, wie sie für Schüler der gymnasialen Oberstufe, schon fast am Ziel ihrer Schullaufbahn angekommen und sich auf der Schwelle zum klassischen freien Studentenleben begreifend, typisch ist.

Der Name Penne assoziiert zuerst pennen, salopp für schlafen, wovon auch der Name Penner für einen Landstreicher oder Obdachlosen zeugt. Die Schule hat somit den Beiklang eines Ortes, wo man abschaltet und vor sich hin döst, während der Lehrer vom Katheder aus seinen Stoff doziert.

So kennt man die Penne aus dem Film „Die Feuerzangenbowle“. Beim Schauen verliert sich unmerklich, dass es sich um eine erdichtete Rahmenerzählung handelt, die mit einem Augenzwinkern den idyllischen gymnasialen Schulalltag wie eine Romanze wiederbelebt. Schon damals, in den dreißiger und vierziger Jahren, gehört diese Art von Penne der versunkenen Jugendepoche älterer Herren an, die in Zigarrennebelschwaden in Erinnerungen schwelgen und sich in die unbeschwerte Pennälerzeit zurückversetzt fühlen. Skurrile Lehrerexemplare – der kauzige Physiklehrer neben dem schneidigen Klassenlehrer und ein zeusbärtiger Direktor, der, gleich herabgestiegen vom Bildungsolymp, die höhere Lehranstalt mit Güte und Gerechtigkeit leitet. Dazu die Gymnasiasten – Zöglinge in kurzen Hosen, Primaner in knapp werdenden Anzügen. Kichernde höhere Töchter mit Bubikragen und Haarschleife vom benachbarten Lyzeum.

Damals wie heute passen sich die Schüler dem Stil und der Autorität ihrer Lehrer an, zeigen ausgesuchte Manieren oder lümmeln sich in den Bänken, je nachdem, was von ihnen erwartet wird und was sie sich glauben erlauben zu können. Sie „pennen“, schlafen, sind unaufmerksam.

Deshalb ist Penne, versteht man den Namen als vordergründigen Spitznamen für eine Lehranstalt, eigentlich ein Euphemismus, der einer lässigen Jugendzeit entstammt.

Eigentlich aber ist Penne die Verballhornung eines bildungssprachlichen Hintergrundes. Das passt auch zu der Rolle des Gymnasium als einer Lehranstalt für eine schmale Bildungsschicht. In Penne steckt das lateinische Wort penna, die Flugfeder, Italienisch penne [1]. Früher schrieb man mit der Gänsefeder, dem Federkiel, der in schrägzulaufend angeschnittener Spitze in die Tinte getaucht wurde. Im Deutschen ist dies noch an Schreibfeder und Füllfederhalter ablesbar, im Englischen an pen und pencil.

Die Penne ist also der Ort, wo der Pennäler das Schreiben lernt, übt und anwendet, der Ort des Umgangs mit Schreibwerkzeug. Schreiben ist eng verknüpft mit Lernen, denn zu Lernendes muss verschriftlicht werden, um es verfügbar, behaltbar, transportierbar zu machen. Verschriftlichung gewährleistet darüber hinaus, Gelerntes überprüfbar darzustellen, Leistungsnachweise zu erbringen. Für all das ist das Schreiben und das Schreibutensil, die „Feder“ – noch heute ein Merkmal geistiger Arbeit – ein Symbol.

[1] Dass das italienische Wort für eine gängige Nudelsorte gleichlautend ist, ist so gesehen kein Zufall. Die Form erinnert durch ihren diagonalen Zuschnitt, der die Aufnahme der Pastasauce gewährleisten soll, an einen Federkiel.

Von der Ironie zur Polemik – Rhetorik im antiken Rom

Demosthenes

William Blake – Demosthenes – Manchester City Gallery – Lizenz: gemeinfrei

Mit dem politischen und kulturellen Aufstieg Roms war auch die Kultur der politischen Rede unverzichtbar geworden. Sie ist das Vermächtnis griechischer Rhetoriker. Als deren wichtigster Vertreter gilt Demosthenes, ein Schüler Platons.

Durch den hellenistischen Einfluss – auf den Gebieten von Philosophie, Sprache und Wissenschaft – gelangte Rhetorik als Mittel der politischen Auseinandersetzung auch in der antiken römischen Republik und dem Kaiserreich Rom zu höchstem Ansehen. Zuerst wurde die rhetorische Ausbildung durch Miterleben, Nachahmung, Selbststudium und privaten Unterricht erworben. Die Jünglinge der Oberschicht wurden durch Vorbilder, Väter und Paten, in die politischen Kreise eingeführt, als deren Nachwuchs sie vorgesehen waren.

Öffentliche Rednerschulen, die werdende Politiker, Philosophen und Juristen rhetorisch ausbildeten, wurden erst jenseits der römischen Republik unter Kaiser Vespasian eröffnet. Die berühmteste war die von Quintilian [1], einem Verfechter der rhetorischen Strukturen Ciceros dessen Rhetorik, so kompliziert sie uns Heutigen auch erscheinen mag, für ungedrechselte, aber scharf pointierte Sprache stand, damit im Gegensatz stand zu anderen rhetorischen Ansätzen, die formale und gestelzte Herangehensweisen propagierten. Wie richtungweisend und angesehen die Rhetorik des Politikers, Anwalts und Philosphen Cicero [2] war, verrät die bis in heutige Zeit reichende Popularität seiner Reden und Schriften als unübertreffliche Beispiele gelungener politischer Rhetorik.

Die Rhetorik bedient sich, um ihrem ureigenen Gegenstand, der politischen Rede, gerecht zu werden, bestimmter abgestufter Techniken. Eines ihrer Ziele ist, der Rede Würze und Farbe zu verleihen, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu binden. Ein anderes ist die Herausforderung des politischen Gegners: ihn zu packen, zu widerlegen, anzugreifen, aufzustacheln, ihn gar der Lächerlichkeit preiszugeben.

Man nennt diese Muster, die die politische Redekunst beherrschen, rhetorische Figuren. Darin wird ausgedrückt, dass sie einem theoretischen Ansatz folgen. Die Begriffe, die dieser Vorgabe gerecht werden, greifen in redefigürlichen Abstufungen ineinander. Das lässt sich an der Mehrstufigkeit verdeutlichen, die einen politischen Angriff kennzeichnet.

Eine solche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner kann sich exemplarisch auf einer Stufenleiter zwischen Ironie und Polemik abspielen. Die rhetorische Terminologie ist dem Gegenstand entsprechend aus dem Griechischen entlehnt. Daran zeigt sich ihre Verwurzelung in der hellenistischen Kultur.

Angeführt wird dieses Mehrstufigkeit der Herausforderungen von dem Mittel der Ironie [3]; eirōneía bedeutet wörtlich „Verstellung, Vortäuschung“.

Die Ironie ist gekennzeichnet durch Indirektheit. Die eigentlich gemeinte – meist negative – Bewertung wird nicht direkt, sondern positiv verschlüsselt ausgedrückt. Voraussetzung für das Verständnis von Ironie ist das Erkennen der Verstellung. Mithin reflektiert die Ironie sowohl das eigene Wissen über die Täuschung als auch die Kenntnis dieses Wissens beim Gegenüber. Ironie ist in ein Verhältnis sozialen Gefälles eingebunden: Der Ironiker begreift sich darin als den Überlegenen, der den anderen mit der ironischen Bemerkung in Verlegenheit bringt und belehrt.

Polemik ist als die äußerste Zuspitzung der andere Pol der pölitischen Auseinandersetzung.

Der Begriff Polemik geht auf den altgriechischen Begriff pólemos ‚“Krieg, Streit“ zurück.[6]

Ein polemischer Angriff bezeichnet eine scharfe, gerade auch persönliche Kritik ohne sachliche Argumente. Die Polemik nimmt auf den Gegner keine Rücksicht, ist bereit, ihn zu verspotten und zu verhöhnen. Übertragen auf andere Konflikte bezeichnet man auch denjenige Polemiker, der eine verletzende, streitsüchtige Auseinandersetzungen betreibt.
 
Zwischen beiden, der Ironie und der Polemik, sind Sarkasmus [4] und Zynismus [5] angesiedelt.

Sarkasmus leitet sich ab von altgriechisch sarkasmós „Zerfleischung“, ein Bild für beißenden Spott. Sarkasmus zielt auf den Gegner, der rücksichtslos – beißend – ins Visier genommen wird.

Zynismus hat sich in seiner Bedeutung gewandelt. Zugrunde liegt ihm altgriechisch kyon, Hund, Wörtlich übersetzt bedeutet kynismós „Hündigkeit“. Das bezieht sich auf die griechische Philosophenschule der Kyniker, die ein bedürfnisloses Leben verfolgten. Zynismus beschreibt heute eine unsoziale und verächtliche Lebenseinstellung, die auf die Gefühle anderer bewusst verletztt.

Während Sarkasmus eine verbale Attacke ist und sich damit als rhetorisches Mittel ausweist, ist dem Zynismus dieses eindeutig rhetorische Merkmal nicht zweifelsfrei zu eigen. Denn Zynismus kann man auch als Ergebnis misslungener gesellschaftlicher Integration verstehen.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Quintilian

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Tullius_Cicero#Rhetorische_Schriften

[3]Der Name entstammt dem Altgriechischen: εἰρωνεία eirōneía, wörtlich „Verstellung, Vortäuschung“
 /de.wikipedia.org/wiki/Ironie

[4] Sarkasmus, von σαρκασμός sarkasmós „die Zerfleischung, der beißende Spott“, von altgriechisch sarkazein „sich das Maul zerreißen, zerfleischen, verhöhnen“, von σάρξ sarx „das (rohe) Fleisch“
https://de.wikipedia.org/wiki/Sarkasmus

[5] Zynismus, von griechisch κυνισμός kynismós, wörtlich „Hündigkeit“ von κύων, kyon, „Hund“

[6] Polemik, von griechisch πολεμικός polemikós ‚feindselig‘ bzw. πόλεμος pólemos ‚Krieg, Streit‘

Das klassische Rom – gegründet auf hellenistischem Fundament

Æneas lands on the shores of Latium with his son Ascanius behind him; on the left, a sow tells him where to found his city

Æneas lands on the shores of Latium with his son Ascanius behind him; on the left, a sow tells him where to found his city – Foto: Marie-Lan Nguyen
Lizenz: public domain

Der Sage nach traf der Trojaner Aeneas, dem brennenden Troja entkommen, nach jahrelanger Irrfahrt durchs Mittelmeer in Italien ein. Diese Odyssee endet mit der Landung an der latinischen Westküste Italiens, das in der Antike Hesperien [1] genannt wurde. Sie führte über Kreta, Thrakien, Apulien, Sizilien und Karthago  schließlich ins Latium, der Gegend um Rom. Das schildert Vergil in seinem Hauptwerk, der Aeneis.

Dem homerischen Vorbild inhaltlich und metrisch nachempfunden, bildet die Aeneis die mythologische Grundlage der römischen Antike, deren Identität und Selbstverständnis auf dem Fundament des klassischen Hellenismus ruht.

Die italienische Halbinsel, die sich weit ins Mittelmeer schiebt, war bis zur Ankunft der Trojaner die Heimat italischer Volksstämme [2]. Sizilien aber, die Insel im tiefsten Süden und der Halbinsel vorgelagert, war schon von alters her eine griechische Kolonie, genannt magna graecia, Kornkammer und Weinlieferant. Geographisch waren Apulien, „der Absatz“, und Sizilien , „der Stein“ der thrakischen Westküste Griechenlands und Karthago, dem heutigen Tripolis, näher als dem übrigen Europa.

Rom, als dessen Gründungsvater Aeneas gilt, löste die Hegemonie der griechischen Antike im Mittelmeerraum ab. Griechisch blieb dennoch die Sprache der römischen Oberschicht. Es war die Sprache des höheren Unterrichts. Griechisch wurde im klassischen Rom in einer Art Zweisprachigkeit vermittelt – von Kindesbeinen an gelehrt von gebildeten Griechen – Ammen, Sklaven, Freigelassenen.

Öffentliche Schulen gab es in Rom nicht. Erziehung und Bildung waren Aufgabe des Elternhauses. Der Nachwuchs lernte zu Hause und von Privatlehrern, schließlich geschlechtsspezifisch von den Eltern. Dabei wurden die Jünglinge vornehmer Herkunft von den Vätern und eigens dafür verpflichteten Paten an öffentliche und militärische Aufgaben und Ämter herangeführt, um ihre patrizische Rolle in Staat und Gesellschaft auszufüllen und durch angemessene Rede Führungsqualitäten zu erwerben.

[1] altgriechisch  ἑσπέρα, hespera = Westen Die Irrfahrt

[2] Die Ureinwohner Italiens, insbesondere des Latiums hießen aborigines (lateinisch „Von den Ursprüngen“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Aborigines_(Italien)

Pastor und Propst

Kuckuck und Rotkehlchen

Martin Luther
Lizenz: public domain

Latein war noch zur Zeit Luthers die Sprache der Kirche. Eine Sprache, die nur hochgebildeten Schichten wie dem Klerus und dem Adel zugänglich war. Es war der Anknüpfungspunkt des Reformators, dem einfachen Volk, den ungebildeten Gläubigen, ihre Glaubenssache, die Bibel, die Liturgie, die Choräle in ihrer eigenen Sprache nahe zu bringen. Es war der Antrieb für seine Bibelübersetzung, für die Luther einen Stab von Gelehrten und Spezialisten für die alten Sprachen um sich versammelt hatte.

Im Zusammenhang damit galt es, die Prachtentfaltung der Kirche, die auf Kosten der einfachen Menschen ging, zu reduzieren, sich für die Reinigung der Gotteshäuser von Pomp und Zierrat zugunsten schlichter Kontemplation einzusetzen. Das ist in knappen Zügen die Geschichte der Einfachheit der protestantischen Kirche, also der Christen, die sich einst gegen die Verschwendungssucht der Kirche einsetzten.

In Hamburg heißt der Vorgesetzte der Pastoren eines Kirchenkreises Propst. Das ist der Titel für einen höheren kirchlichen Amtsträger – Superintendent ist andernorts der geläufigere Amtstitel. Er ist etwas ähnliches wie ein Oberschulrat auf der Verwaltungsebene von Schulen.

Das zunächst ganz heimisch klingende Wort Propst hat lateinische Wurzeln, die zweifellos im Kirchenlatein zu suchen sind. Die lauten zunächst lateinisch praepositus, Vorsteher, Aufseher, also Vorgesetzter, schließlich spätlateinisch propos(i)tus. Daraus ist mittelhochdeutsch brobest, althochdeutsch prōbōst entstanden. Man erkennt darin ein substantiviertes 2. Partizip von praeponere, einem Begriff, der in der Grammatik für die Wortart Präposition, „Voranstellung“, Verhältniswort, erhalten ist.

In Hamburg wird zum Erstaunen Vieler das Substantiv Propst auf zweierlei Arten gebeugt.

Die eigentliche, dudenkonforme Beugung ist stark, also

der Propst, des Propstes, dem Propst, den Propst (Singular)

die Pröpste, der Pröpste, den Pröpsten, die Pröpste.

Daneben gibt es eine, wie mir scheint, kircheninterne, schwache. Sie lautet:

der Propst, des Propsten, dem Propsten, den Propsten (Singular)

Die letztgenannte schwache Beugung scheint aus dem lateinischen Ursprung als einem substantivierten 2. Partizip zu resultieren. Partizipien werden als Substantive wie Adjektive, denen sie in ihrer Gestalt und Funktion ähnlich sind, schwach gebeugt. Das erkennt man etwa an dem Begriff der Vorgesetzte, ein Vorgesetzter, welches in Wirklichkeit ebenso ein substantiviertes Partizip ist, und deshalb also schwach flektiert wird. Dabei findet der schwache Plural, „die Propsten“ keine Verwendung. Das mag damit zusammenhängen, dass in Hamburg das weibliche Pendant Pröpstin geläufig ist, so dass die Pröpste  so vertraut wie die Pröpstinnen klingen.

Der übliche Name für den evangelischen Pfarrer und Seelsorger lautet Pastor. Das ist unverfälschtes Latein: der Hirte. Gedacht ist Seelen-Hirte. Das Bild des guten Hirten, der sich auch um sein letztes verlorenes Schäflein kümmert, steht dafür Pate.

Pastor ist ein Substantiv mit maskulinem Genus, das zeigt das Suffix -or an. Es gibt im Deutschen viele derartige Substantive: Doktor, Rektor, Autor, Kurator. Sie alle sind von einem lateinischen Pendant abgeleitet: pastor, doctor, rector, auctor, curator.

Aus der substantivischen Herkunft resultiert auch eine Wahrnehmung und folglich eine grammatische Vorstellung als Maskulinum, die sich in der Beugung manifestiert. Aus diesem Grund werden diese Fremdwörter, anders als die aus Adjektiven, Partizipien oder Gerundiven abgeleiteten, die in ihrem grammatischen Charakter adjektivischer Natur sind, stark gebeugt:

der Pastor, des Pastors, dem Pastor, den Pastor (Singular)

die Pastoren, der Pastoren, den Pastoren, die Pastoren (Plural)

Diese genuin maskulinen Fremdwörter schwach zu beugen, also *des/dem/den Pastoren/Autoren, ist also ein grammatischer Fehler, entstanden aus dem Missverständnis, alle maskulinen Fremdwörter würden schwach gebeugt.