Kuckuck

Kuckuck und Rotkehlchen

Kuckuck und Rotkehlchen
Lizenz: gemeinfrei

„… im Maien heimgekommen, der Kuckuck schweigt nicht still.“

Ja, der Kuckucksruf ist ein Frühlingsbote, der von der wiedererwachten Natur in Feld und Wald kündet. Kinder, die in weißen Kleidern die Dorflinde umtanzen, und bunte Blümlein, die die braune Heide zieren, treten vor das wintermüde, entzückte Auge.

Nein, der Ruf dringt nicht vom Wald, sondern herauf aus dem innerstädtischen Hinterhof. Ehedem bestand er aus Kleingärten. Jetzt ist er ein grüner Ausblick von der Höhe des vierten Obergeschosses. Da hat sich der schnellwüchsige Bergahorn ausgebreitet, eine knorrige Robinie schickt sich an, ihre stachelige Kahlheit zu ummänteln. Kaum zu glauben, dass sie, die Unbiegsame, sich schon bald mit Trauben weißer Blüten schmücken wird, die mit fortschreitender Nacht exotische schwere Düfte verströmen sollen. Unter Efeulast brachen einst ranke Birnbäume, deren letzte Blütezeiten verblassten, während in ihre immergrünenden Kronen werbende Waldtauben einzogen.

So traute ich meinen Ohren nicht, als der Ruf eines Kuckucks sich in das Gurren der Tauben mischte.

Die Ringeltauben, erkennbar an  den weißen Halsringen, sind allgegenwärtig in den Stadtgärten. Unter ihren schweren Körpern biegen sich die Zweige, sommers die belaubten, winters die kahlen, frostspröden. Unerschütterlich bevölkern sie ihre grünen Gevierte aus fünfstöckigen Häusern – vermeintliche Waldtaubenschluchten.

Der kleine Kuckuck aber blieb unsichtbar. Wer hat ihn je gesehen? Er verbirgt sich vor Mensch und Tier. Und das hat gute Gründe.

Die gründen tiefer, als unser Menschengedächtnis wohl währt. Ein Sonderfall der Evolution. Alle Lebewesen wollen überleben, ihre Nachkommen schützen, Ihr Erbgut erhalten und vermehren. Dafür haben sie unterschiedliche Strategien entwickelt. Immer aber geht es um die Sicherung der Art. Der Nachwuchs soll sie gewährleisten, sei es durch Menge oder besondere Brutpflege und Nestschutz. Schmarotzer, Parasiten, aber profitieren von der Lebenskraft anderer Spezies.

Kuckucke sind ein Unikum in der Vogelwelt, sie sind Brutschmarotzer. Das zwingt zur Vorsicht und Heimlichkeit. Der Kuckuck späht die Nester kleinerer Vögel aus. Das könnte in unserem Fall eine Grasmücke[1] sein, ein graziler Singvogel mit einem entsprechend zartgliedrigen Nest aus trockenen Halmen. Es ist das Nest jener Art, die bereits seine eigene Kinderstube bereitet hatte, also seinerzeit die Zieheltern der jetzt erwachsenen Kuckucksmutter waren. Denn wie sonst könnte der Kuckuck sicher sein, dass sein Nachwuchs stark genug sein würde, sich gegen die Futterkonkurrenten durchzusetzen? Wie sichergehen, dass er richtig ernährt würde? Das Nest muß bezogen sein, Eier müssen bereits darin liegen, um die Brutbereitschaft der auserwählten Vogeleltern anzuzeigen.

Und jetzt kommt eine weitere Raffinesse des Brutparasiten ins Spiel: Der Kuckuck, fast taubengroß, ähnelt im Flug mit seinen angelegten Flügeln einem Sperber oder Turmfalken. Diese Tarnung, eine Art Mimikry, veranlasst die Singvögel, deren Nest ausgespäht wurde, dazu, in Deckung zu gehen. So kann der Kuckuck in Ruhe seinem kurzen, wechselvollen Brutgeschäft nachgehen. Das  Nest wird ausgeräumt und ein Ei hineingelegt. Es ist ein wenig größer aber farblich abgestimmt auf die rechtmäßigen Nestbewohner, ein Effekt der Wirtstreue in langwährender evolutionärer Entwicklung, der das Kuckucksei tarnt. Das zukünftige Kuckucksjunge wird so groß und stark sein, dass kein anderes Küken neben ihm überleben wird. Die Nestgeschwister schlüpfen, wenn überhaupt, später. Dann haben sie das Nachsehen neben dem kräftigen Stiefküken.

Das also ist das Überlebensgeheimnis des Kuckucks, der sich nicht um die eigene Brut kümmert: Die Brutzeit ist kürzer als die der eigenen Brut des Wirtsvogels. So ist das fremde den eigentlichen Jungen bereits in seiner Entwicklung voraus. Seine Stärke, gepaart mit einem speziellen angeborenen Durchsetzungsverhalten, läßt den Jungvogel die Nestgeschwister aus dem Nest drängen, sein weit aufgesperrter, orange-geränderter Schnabel ist der Schlüsselreiz, spezifische Bettellaute ein weiteres Signal, ihn unermüdlich bis weit in die Zeiten des Flüggewerdens zu füttern.

Selbst andere Vogelarten reagieren auf dieses Reizschema und beteiligen sich an der Fütterung.

Die genetische Mutter aber hat nur zuvor für die richtigen Lebensbedingungen gesorgt.

Kaum ist der Jungkuckuck groß, geht es auch schon wieder auf die Heimreise. Die wahre Heimat der Zugvögel ist ja anderswo. Ein kurzer Aufenthalt hier währt gerade für die Zeit des Paarens und der Brut. Dann ruft ein unwiderstehlicher Zugzwang auch die herangewachsenen Jungvögel fort. Denn bald neigt sich das Nahrungsangebot und der Rückflug ins ferne Westafrika – die eigentliche Heimat des heimischen Kuckucks – steht wieder bevor.

Aber wie sich die raren und scheuen Kuckucke für den Zug rüsten, wo sie sich sammeln, wie sie sich organisieren, wo sie rasten, um die Reise zu überstehen, das bleibt im Dunkel. Ob sie mit ihren Wirtsvögeln fliegen, wie sie zueinander finden, ob ihre Ziele mit denen der „Eltern“ übereinstimmen?

Der Kuckucksruf, für uns der Vogellaut, der den Mai begleitet, ist der Werbeschrei des Kuckucksmännchens. Deshalb verstummt er, wenn diese Suche erfüllt ist und die des Weibchens nach dem passenden Nest begonnen hat.

[1] Kleine Singvögel wie Rohrsänger, Pieper, Bachstelzen, Braunellen, Neuntöter, Zaunkönig und Rotschwänze sind bevorzugte Wirte.

löschen – ein Verb mit unterschiedlicher Etymologie

In dem Verb löschen fließen zwei unterschiedliche Quellen der Wortbildung zusammen. Denn eigentlich sind es zwei Verben, die – vielleicht zufällig – gleich klingen. Diese Art von Gleichklang bei unterschiedlicher Bedeutung heißt fachsprachlich Polysemie.[1]

Doch an der Etymologie [2], dem eigentlichen Sinn und der Wortherkunft, lässt sich nachweisen, dass dies nicht immer so war.

Das eine – zunächst intransitive erlöschen, früher auch unpräfigiert, aber bedeutungsgleich löschen [3], mit den Stammformen erlosch, erlisch!, erlösche, erloschen – bezeichnet eine Beseitigung, Tilgung, Entfernung. Es hat den Ursprung in ahd. irlescan, mhd. leschen, worin man eine Weiterbildung zu sich legen, liegen zu erkennen vermag. Das legt dann das Bild einer sich legenden Flamme oder Glut, übertragen eines erlöschenden Geistes oder Gedächtnisses nahe. Man kann auch das transitiv gebrauchte Verb löschen als Faktivum, Kausativum [4], also Auslöser des intransitiven erlöschen begreifen. Dann wird aus löschen -> erlöschen machen, ausmachen.

Daneben steht das transitive Verb löschen, das – figürlicher, also profaner und praktischer, gebraucht – somit regelmäßige, schwache Flexionsformen hat: löschen, löschte, gelöscht.

Das Löschen einer Schuld im Kaufmannsdeutsch ist die Tilgung. Die Beseitigung von Eintragungen, heutzutage Dateien auf Rechnern, nennt man ebenso Löschung im Sinne von Beseitigung oder Tilgung.

Auch Löschsand tilgt und beseitigt Feuer, bringt es zum Erlöschen. Der Löschsand, den man früher zum Ablöschen überschüssiger Tinte beim handschriftlichen Schreiben verwendete, tilgt überschüssige Tinte, indem er sie aufnimmt.

Diese Aufgabe übernimmt später das Löschpapier, indem es die feuchte Tinte aufsaugt und das Geschriebene vor dem Verschmieren bewahrt.

Weil heftige Empfindungen wie eine unkontrollierbare Glut empfunden werden, wird auf deren Tilgung löschen im Sinne von erlösen übertragen: Durst, Liebe, Hass. Die Übertragung Leben, eine Familie, ein ganzes Dorf oder Volk auslöschen zieht seinen Vergleich aus dem Beweglichen, lebendig Anmutenden des Feuers, das erstickt wird. Diese Auslöschung ist zu verstehen als Beseitigung, ja sogar Vertilgung.

Ein Verb mit ganz anderem Ursprung ist das seemännische Verb löschen: ein Ladung löschen, ausladen, das Schiff leer machen.

Hier liegt die Bedeutung löschen -> lösen nahe. Denn früher wurden schwere Waren auf Schiffen vertäut. Sie mussten vor ihrer Entladung von den Tauen gelöst, losgemacht werden. Daraus ergibt sich das aus dem Niederdeutschen lössen entlehnte löschen. Das Mittelniederdeutsche und Niederländische bezeichnet dies als lossen, wo die Verbindung zu dem Adjektiv los, das eigentlich frei, leer bedeutet, lautlich noch erkennbar ist.

Legt man das Gewicht auf eine Parallele, die auflösen, erlösen zu lösen und löschen nahelegt, ließen sich auch zwischen dem Lösen von Schiffsgütern und dem Erlösen, Befreien von heftigen Empfindungen semantische Verbindungen herstellen.

[1] polysem, polysemantisch, griechisch polýsēmos, polysḗmantos = vieles bezeichnend, vieldeutig

[2] Etymologie, Untersuchung des wahren (ursprünglichen) Sinnes eines Wortes, zu: étymon (Etymon) und lógos, Logos

[3] Die Flamme/ Das Feuer losch/ löscht.

[4] Kausativum, Verb des Veranlassens, zu lateinisch: causa, Grund, Ursache, und causativus, ursächlich. Beispiele: setzen – sitzen, tränken – trinken